Dienstag, 28. Mai 2013

Fragment #1: Der Mann auf dem Feld


[Weil ich in Sachen Malen/Zeichen (darum ging's hier ja ursprünglich) in den letzten Monaten ziemlich ernüchtert und »leer« war und es wohl noch etwas dauern wird, bis ich wieder was »Vorzeigbares« fertigbekomme, will ich meinen Blog thematisch mal etwas erweitern. Ich habe schreibtechnisch (ich traue mich garnicht, es »literarisch« zu nennen) inzwischen mal wieder zig Sachen angefangen und bin fast genauso oft gegen eine Wand gelaufen. Nervig! Unnötig! Wie auch immer... auf jeden Fall will ich den Blog hier, bevor er anfängt, zu gammeln, ein wenig mit dem Gedankenbrei füllen, der mir hinsichtlich der »Kunst« (im allgemeinsten Sinne) so durch den Kopf geht. Aktive Problemverarbeitung sozusagen... insofern: Aus dem »Schreibtagebuch« nur auf's Nötigste in Form gebracht und aufbereitet – ab in den Blog!]

Fragment #1: Der Mann auf dem Feld

Manchmal, wenn ich nachts im Bett liege, denke ich an einen Mann, der am Abend auf einem Feld steht. Er trägt eine abgewetzte Hose, deren ausgefranste Beine ihm nur bis zu den Knien reichen, ansonsten aber ist er gänzlich unbekleidet. Die Haare auf seinem länglichen Schädel sind kurz und unsauber geschnitten. Über einer fleischigen Nase sitzen unter kaum sichtbaren Brauen zwei Augen tief in ihren Höhlen, die im Abendlicht wie zwei schwarze Schattenlöcher wirken. Darunter liegen zwei breite, wulstige Lippen, die fest verschlossen sind. Der Mund lächelt nicht, aber er ist auch nicht im Zorn verzogen. Der Kopf des Mannes läuft in einem breiten Nacken und in ebenso breite Schultern aus. Sein gesamter nackter Oberkörper ist stramm und muskulös. Auch seine Beine sind kräftig bis hinab zu den Zehen, die in die dunkle Erde des Feldes hinabgesunken sind und dabei einige Kornähren niederdrücken. Sein linker Arm streckt sich hinaus ins Korn und seine Hand liegt starr in der Luft, wo ein leichter Wind die Ähren gegen die Handfläche streichen lässt.

Der rechte Arm des Mannes jedoch ist ein Rübenkarren. Er wird von einem alten Ochsen gezogen, der sich auf der schlammigen Straße nur langsam voranbewegt. Es ist noch früh am morgen und es regnet in Strömen. Auf dem Ochsen sitzt ein Bauer mit einer hölzernen Rute und klagt laut über die Last und den Jammer, der ihm der Befehl des Königs gegeben hat. Vom Horizont her blitzt es und einige Augenblicke später erklingt der Donner. Die Länder, durch die der Weg führt, sind von langer Dürre gezeichnet, über die nun der Regen hereinbricht und die letzte Hoffnung auf Ernten davon spült. Die alten Räder des Rübenkarrens quietschen vor sich hin und im Wagen rollen die wenigen schmutzigen Rüben hin und her.

Eine der Rüben ist eine Reise, die nach langem Weg durch ein Gebirge in eine Stadt führt. Die Sonne scheint. Zwei Männer und eine Frau sitzen an einem Brunnen und lachen so laut, dass die vorbeikommenden Fußgänger einen weiten Bogen um sie machen. Die Aufhängung im Brunnen ist von Rost zerfressen und schon lange hängt kein Eimer mehr in ihr. Der Brunnen selbst und ausgetrocknet und nur noch ein nutzloses, tiefes, schwarzes Loch im Boden. Die beiden lachenden Männer und die Frau stützen sich am Rand das Brunnens ab. Sie halten sich die Bäuche und Tränen fließen. Einer der Fußgänger tritt verärgert zu ihnen heran, deutet mit Gesten sein Missfallen an und geht wieder, als die Drei nur noch lauter lachen, ohne ihn nur eines einzigen Blickes zu würdigen.

Die Reise führt weiter hinab ins Tal. An einem wilden Bach steht eine Eiche, an der ein Holzfäller lehnt und auf einem Strohhalm herumkaut. Sein Blick ist auf den sprudelnden Bach gerichtet, der munter über Steine das Gefälle hinabfließt und irgendwo im Dickicht nahe des Waldes verschwindet. Die Sonne steht zu dieser Stunde besonders hoch am blauen Himmel. Der Holzfäller nimmt den Strohhalm aus dem Mund, schmatzt einmal und ruft »Ah!«, wobei er die Brauen hebt. Dann kaut er weiter.

Das Rauschen des Baches ist eine hohes Betongebäude, das mit seinen vielen Etagen den höchsten Punkt der Stadt ausmacht. Tauben fliegen krächzend an seiner Fassade auf und ab, lassen sich an den Vorsprüngen nieder und verschwinden in den Fensterlöchern, in welche nie Scheiben gesetzt wurden. Das Innere des Gebäudes ist tot und leer. Selbst ein Fahrstuhl wurde nie installiert. Am Fuße des hohen Betongebäudes steht ein Wachmann. Er ist untersetzt und die dunkelblaue Uniform ist ihm etwas zu klein, sodass er immer wieder an ihrem Oberteil zieht, denn es ist zugig in diesem Stadtteil. Ein paar zerzauste Kinder spielen mit einem unförmigen Fußball, ansonsten ist dieser Stadtteil wie ausgestorben. Der Wachmann bohrt in der Nase.

An diesem Punkt angelangt enden meist meine Gedanken oder beginnen viel mehr, sich im Kreise zu drehen, denn schon sehe ich wieder die Gestalt des Mannes auf dem Feld. Die Nacht ist bereits hereingebrochen, doch er steht weiter da, ohne sich zu rühren. Dunkel liegt es über der Welt. Städte und Dörfer sind im Schwarz versunken. Ich drehe mich in meinem Bett herum. So endet der Tag.

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