Donnerstag, 14. August 2014

Fragment #13: Die Wand

Wir standen nebeneinander in der weiten Fläche der Landschaft. Kühl lagen meine nackten Füße auf dem weißen Marmor, das sich in feingefugten Fliesen glänzend und von vielerlei Mustern durchzogen in alle Richtungen ausbreitete und irgendwo in der Distanz als gerade Horizontlinie auf das helle Blau des Himmels traf. Die ferne Sonne stand ungetrübt hoch über uns. Ein leichter Wind bewegte unsere Gewänder. Ein feiner Hauch von Sommer lag in der Luft, wie aus fernen Landen zu uns herangetragen.

»Siehe«, begann er, indem er mir einen kurzen Blick zuwarf, sodass ich meine Augen auf ihn richtete, »diese Welt ist hoch und breit und tief.« Er breitete ruhige die Arme aus, und an seinen Gelenken fiel der Stoff der Ärmel hinab.

Ich nickte stumm und ließ meine Augen noch einmal über die Landschaft wandern.

»Diese Welt ist fest und gerade. Kein Riss durchzieht sie, ihre Kanten sind scharf umzeichnet und ohne Grat. Nichts können die inneren Kräfte ihr anhaben.«

Und als ich seine Worte hörte und mich zugleich umsah, war es mir, als würde sich seine Aussage bestätigen: Die Horizontlinie, an der das Marmor mit dem Blau des Himmels zusammentraf, schien klarer hervorzutreten. Die feinen Fugen der Fliesen zu meinen Füßen erschienen mit deutlicher als zu vor. Ja ich spürte nun den Wind bewegter auf meiner Haut, den Sommergeruch frischer in meiner Nase. Ein angenehmer Schauer durchzog mich und ich schloss lächelnd die Augen. Und hier, allein im inneren Dunkel, nahm ich auch die Klänge der Welt klarer und heller war, den Windes über der endlosen Fläche, das leise Rauschen unserer Gewänder, das Atmen des Meisters und sogleich mein eigenes, das ruhige Pochen des Herzens in meiner Brust, das Säuseln des Blutes in meinen Ohren.

»Und so…«, begann er nun und ich öffnete die Augen wie aus aus einem tiefen, erholsamen Schlaf, »Und so bleiben wir im Außen, die Welt bleibt in ihrer Festigkeit erhalten. Das Muster verändert sich nicht und bleibt stabil.« Für einen Moment schwieg er und Stille kehrte ein, doch diesmal spürte ich eine erwartungsvolle Spannung in mir. Ich hatte meine Augen auf ihn gerichtet, wie er da stand, das Gesicht ausdruckslos, den Blick in die Ferne gerichtet. Für einen Moment wandte er den Kopf und sah mich an, ohne zu sprechen. Seine schmalen Lippen lagen locker aufeinander, die Brauen waren leicht erhoben. Doch in den Augen darunter lag eine kühle Tiefe und ich glaubte für diese eine Sekunde, etwas in seinem Blick zu erkennen – oder war es viel mehr hinter seinem Blick? Ich hielt den Atem an. Es war, als würde sich dort, hinter dem Schimmern seiner Pupillen etwas entfalten, das ich nicht kannte. Doch schon wandte er den Blick wieder ab, zurück dem Horizont entgegen. Zugleich jedoch erhoben sich erneut seine Arme, doch diesmal streckte er sie zielstrebig voran, die Handflächen seiner kleinen, faltigen Händen vorausgerichtet. Es sah aus, als würden diese Handflächen und die langen, dünnen Finger auf einer unsichtbaren Wand zum Liegen kommen.

»Die Welt ist fest gerade, das Muster bleibt stabil«, fasste er zusammen, den Blick auf seine Hände gerichtet. »Doch was ist, wenn wir unseren Standpunkt verändern?«

Und wie als Antwort begann er nun langsam, seinen Oberkörper zur rechten Seite hin zu verschieben, so weit, dass seinen Füße einen kleinen Seitenschritt machten. Seine Hände jedoch ruhten weiterhin fest auf der unsichtbaren Wand. Zugleich schob er Kopf und Oberkörper ein wenig voran, bis sich seine Stirn fast auf Höhe der Hände befand. Dabei wandte er den Blick, so als wolle er geradewegs hinter das sehen, was hinter seinen Händen verborgen liegen musste.

»Was sehen wir?«, fragte er nun, ohne seine Haltung zu verändern. »Was liegt dahinter?«

Er verblieb noch für einige Augenblicke in seiner Position, ohne ein weiteres Wort zu sagen oder eine Frage zu stellen. Dann begann er, seinen Körper zurück in die Ausgangsposition zu bewegen, bis er wieder mit vorausgestreckten Händen da stand. Erst nach einiger Zeit drehte er nun noch einmal den Kopf und diesmal war sein Blick ein anderer: Die dünnen Lippen waren fest aufeinandergepresst, die gräulichen Brauen hielt er etwas zusammengezogen. Wieder lag ein kühler Blick in seinen Augen, doch diesmal war dort noch mehr, was ich nicht zu deuten wusste, Regungen und Bewegungen in der Tiefe, wie Schwaden, die durch einen mir unbekannten Raum trieben. Ich schluckte unwillkürlich. Er musste das Wort nicht aussprechen, denn ich wusste, das ich an der Reihe war.

Also schritt ich langsam an seinem Rücken vorüber und trat nach vorn, direkt neben ihn. Ich sog einmal tief die kühle Luft ein und beugte mich voran, an seinen Händen vorbei, so wie er es gerade selbst getan hatte.

»Was siehst Du?« hörte ich ihn von links sprechen und spürte eine Unruhe in seiner Stimme. Noch einmal atmete ich ein und versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was vor mir lag. Aus dem Augenwinkel sah ich seine Finger, die an der unsichtbaren Wand liegen mussten, doch vor mir erstreckte sich nichts weiter, als die immergleiche Marmorlandschaft, der immergleiche Horizont.

»Die Wand!« hörte ich da und zuckte zusammen. Ich schloss für eine Sekunde die Augen und atmete die Spannung aus, die sich in mir angesammelte hatte. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich es: Eine Starre durchzog meinen Körper, mein Mund öffnete sich. Wieder hörte ich meinen Herzschlag, doch diesmal viel näher und lauter. Das Blut rauschte mir in den Ohren. Mein Körper atmete ein und mit lautem Brausen strömte die Luft in meinen Mund und meine Lunge.

»Du siehst«, hörte ich seine Stimme, wie aus weiter Ferne, wie aus einer anderen Welt, einem anderen Reich, »Du siehst!«

Und tatsächlich sah ich. Seine Hände befanden sich weiter in meinem Blickfeld und sie lagen auf der Wand, welche die Welt von dem trennte, was dahinter lag. Ich fühlte, wie mein Lippen versuchten, Worte zu Formen, Gebete an Götter zu murmeln, die ich nie gekannt hatte. Ich stand allein und sah in das Dunkel.

2 Kommentare:

  1. Wow, man möchte wissen, wie es dazu kam und wie es weitergeht. Du hast eine Stimmung erzeugt, die in mir nachhallt. Gruß, Gitta

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    1. Oh danke :) Ich bastele derzeit noch an einem anderen, längeren Text, muss mal sehen, wann ich den hier reinschmeiße, hänge eigentlich grad mitten in meiner Bachelorarbeit... :D

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